Wir beschäftigen uns mit dem falschen Problem. Die Aufmerksamkeit der Politiker und der Medien ist der Corona-Grippe gewidmet, während die Erde brennt. Ist diese Aussage nicht übertrieben? Nein.
Corona
Es gibt eine Pandemie und das erfordert Handeln. Dafür haben wir eine Regierung – lass sie die Sache managen. Müssen wir aber wirklich jeden Tag die neusten Fallzahlen kennen und jede Verordnung auseinandernehmen? Muss das gesamte Management der staatlichen Administration auf die Eindämmung von Corona gerichtet sein?
Wir sind mittlerweile im zweiten Jahr, in dem so gut wie nichts für die Umkehrung der Erderwärmung, die Regenerierung der Böden, die Rettung der sterbenden Wälder, das Stoppen des Artensterbens getan wird. Coronas kommen und gehen. Die ausgestorbenen Arten werden aber nie zurückkehren.
Die Natur kann keine Petition unterschreiben, in keiner Talkshow auftreten. Sie benutzt ihre eigene Sprache: Sie schickt uns Corona, erwärmt die Erde, lässt die Korallenriffe sterben …
Wir brauchen aktive Demokratie
Es hat sich vor zwei Jahren in der Gesellschaft etwas Wichtiges getan. Menschen sind in Scharen auf die Straßen gegangen, um von den Regierenden ein deutlich entschiedenes Handeln zu fordern, um die Umsetzung des Pariser Abkommens (auch von uns unterschrieben) zu verlangen.
Es hat sich eine Dynamik in der Breite der Gesellschaft entfaltet. Es war die wichtigste gesellschaftliche Dynamik seit dem Mauerfall. Menschen haben verstanden, dass das Anhalten und die Umkehrung der Erderwärmung mehr als Windparks und Solarpanels erfordern wird. Viele haben angefangen, den Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen System, dem Wachstumsparadigma und der Freiheit der Kapitalvermehrung einerseits und der Zerstörung der Natur andererseits zu durchschauen.
Um etwas grundsätzlich zu verändern, müssen wir wieder auf die Straße. Das wird die keimende Dynamik in der Gesellschaft stärken.
Diese Dynamik wurde unterbrochen. Wir können aber mit dem Umbau unserer Zivilisation nicht darauf warten, bis alle gegen Covid-19 geimpft sind; und dann kommt vielleicht Covid-20. Das Überleben unserer Kinder hängt von diesem Umbau ab und er wird ein Umdenken in der Gesellschaft erfordern. Er setzt eine Änderung der Lebensweise voraus. Das sind schwierige und langwierige soziale Prozesse. Dafür müsste sich die gesellschaftliche Dynamik noch entscheidend weiterentwickeln. Das findet derzeit nicht statt. Wir verlieren Zeit!
Die Erde brennt
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sagt es uns eindeutig: Die globale Erderwärmung kann bereits in 2030 die 1,5-Grad-Marke erreichen, wenn der Ausstoß der Treibhausgase weiterhin mit der derzeitigen Geschwindigkeit fortschreitet. Um dem entgegenzuwirken, müsste die Menschheit die Emission von CO2, Methan, Lachgas usw. bis 2030 um 45 bis 50 Prozent reduzieren. Was aber tatsächlich geschieht, ist eine Erhöhung dieser Emission. Die Folgen werden steigende Meeresspiegel, brennende Wälder, Wüstenbildung, Millionen Umweltflüchtlinge, Wirbelstürme, Dürren, Überschwemmungen, weitere Versäuerung der Ozeane sein.
Unser lebender Planet ist krank, todkrank. Und wir schauen weg.
Die tropischen Regenwälder werden systematisch zerstört. 96% der Masse der Säugetiere auf dem Planeten sind entweder wir oder Tiere, die wir domestiziert haben. Das bedeutet, das nur 4% gehört zu dem, was wir Natur nennen! 70% aller Vögel auf dem Planeten sind heute domestiziert. Die Nutzung der natürlichen Ressourcen durch die Weltwirtschaft wächst exponentiell. Allein in den letzten 40 Jahren haben wir 30 Prozent der weltweit verfügbaren Ackerfläche verloren. Der Boden auf einem weiteren Drittel ist durch die industriell betriebene Landwirtschaft zerstört oder auf dem Weg dahin. Die Vernichtung von Ökosystemen beeinträchtigt mittlerweile das Wohlergehen von mindestens 3,2 Milliarden Menschen – 40 Prozent der Weltbevölkerung. 99 % der tropischen und subtropischen Meere enthalten kaum Leben mehr. Die Wälder beginnen auch vor unserer eigenen Haustür zu sterben. Wir zerstören die Natur, auf die nicht nur Tiere und Pflanzen angewiesen sind, sondern auch wir.
Die Erde brennt, wenn auch leise und langsam.
Aufruf zum Handeln
Wir müssen die gesellschaftliche Diskussion wieder auf die wirklich essenziellen Themen lenken: Erderwärmung, Zerstörung des Lebens, Stärkung und Umbau der Demokratie, grundsätzliche Änderung der Regeln in der Wirtschaft, mehr soziale Gerechtigkeit … Wir müssen wieder auf die Straßen, um eine politische Dynamik in Gang zu setzen. Wir müssen uns finden, zusammentun, Selbstbewusstsein gewinnen und aktiv werden.
Das Rauschen des Wahlkampfes ist noch kein Handeln. Handeln müssen wir.
Die Medien und die Politiker sind Gaffer: Sie schauen dort, wo etwas los ist, wo sich etwas bewegt. Lass uns ihnen also eine Show bieten. Aber vor allem lass uns handeln, lass uns das Ruder in die eigenen Hände nehmen. Sonst erwachen wir in zehn oder zwanzig Jahren in einer Welt, in der wir nicht leben wollen; und es wird zu spät sein.
Andreas Sternowski ist Verleger im Continentia Verlag, wo er Bücher über den Wandel zur Nachhaltigkeit und Verantwortung publiziert. Seine Vision ist eine Gesellschaft, die auf gerechtem und bereicherndem Miteinander und auf Harmonie mit der Natur beruht.
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