Wir werden unsere Zivilisation neu erfinden müssen. Weniger als das wird nicht ausreichen.
Macht euch die Erde untertan!
Die Menschheit ist zu unglaublicher Macht gekommen. Sie hat Technologien entwickelt, mit deren Hilfe ihr Wissen darüber, wie sich die Natur benutzen lässt, seit 300 Jahren exponentiell zunimmt. Diese Entwicklung ist das Ergebnis des Traumes über ein sorgloses, müheloses, bequemes Leben. Der Mensch benutzt alles, was ihm zur Verfügung steht, also die Natur, um diesen großen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Unsere Zivilisation ist das Ergebnis dieses Traumes.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen
Was diese Zivilisation auf dem Planeten angerichtet hat, ist verheerend. Die intakten, gesunden Ökosysteme sind fast ausgelöscht. Der Boden, die Gewässer und die Meere werden zunehmend des Lebens beraubt. Alle anderen Arten, also Tiere und Pflanzen, werden vom Homo sapiens ausgelöscht oder in Nischen zurückgedrängt.
Der Mensch fängt gerade an zu begreifen, dass sich diese Zerstörung und das Massensterben auch gegen ihn selbst richtet. Einerseits werden sein Körper und sein Geist anfällig für Krankheiten. Andererseits ist er immer weniger zufrieden – das Glück, dem er so hastig nachjagt, läuft ihm immer schneller davon. Was er noch nicht merkt, ist, dass seine stolze Zivilisation, die er mit so viel Aufwand und Intelligenz aufgebaut hat, einen Fehler hat: Sie schadet ihm, anstatt ihm zu helfen. Ihre Folgen sprechen laut für sich.
Wir zerstören unser Glück, während wir ihm nachjagen.
Wir müssen das Übel an der Wurzel packen
Warum produziert unsere Zivilisation all dieses Sterben und so viel Unglück? Warum droht sie, noch mehr Sterben und Leid zu bringen?
Der Grund ist einfach: Unser Traum war ein Fehler. Warum träumen wir einen falschen Traum? Weil wir uns als Körper mit einem Bauch voller Wünsche begreifen und die Welt um uns herum als Dinge, Ressourcen, mit denen diese Wünsche befriedigt werden können. Der Fehler unserer Zivilisation liegt in unserem Menschenbild und in unserem Weltbild.
Wir träumen einen falschen Traum, weil wir unser Verständnis und unsere Ziele auf falschen Annahmen aufgebaut haben.
Weil wir uns als denkende, fühlende und begehrende Körper betrachten, wollen wir immer mehr und immer feineres Essen für die Zunge. Ununterbrochen suchen wir nach Reizen für unsere Augen, Ohren und den Tastsinn. Wir jagen neuen Emotionen und Gefühlen nach. Diese Jagd hat kein Ende – alle diese Reize erzeugen im Ergebnis nur den Wusch nach mehr. Befriedigen lässt sich der Körper nie. Unser Traum ist eine Fata Morgana.
Wofür leben wir?
Was macht ein erfülltes Leben aus? Wofür sind wir auf dieser Erde? Was macht uns wirklich glücklich? Wenn wir eine ernsthafte Introspektion betreiben, kommen wir zu Antworten, die nicht im Bereich des Physischen, Materiellen, sondern des Geistigen und Spirituellen liegen. Um glücklich und als Mensch erfüllt zu sein, brauchen wir in Wirklichkeit recht wenig an materiellen Gütern. Fast alles, was in unserer modernen, digitalen Welt unsere Sinne reizt, bringt uns nur von unserem Glück und unserer Erfüllung weg. Wenn wir nur dieser simplen Fakten gewahr werden würden, verschwänden fast alle Probleme unserer Zivilisation!
Der Mensch ist mehr als ein schlaueres Tier, das sich beliebig viel Essen besorgen und sein Vergnügen steigern kann. Er ist mehr als ein Affe mit feinen Gefühlen und anspruchsvoller Intelligenz. Sie sagen vielleicht empört: „Das ist nicht das Bild, das wir über uns haben!“ Wirklich? Was ist das Menschenbild, das die Wirtschaft in Gang hält? Und wird nicht als das primäre Ziel des Staates und der Gesellschaft betrachtet, die Wirtschaft anzukurbeln? Und hat die Kultur nicht das Weltbild geliefert, auf dem unsere produzierende Zivilisation aufgebaut ist?
Unserer produzierenden Zivilisation liegt ein Menschenbild zugrunde, das wir eigentlich als Beleidigung empfinden müssten. Stattdessen scheinen wir darauf stolz zu sein.
Auch die Natur ist mehr als eine riesige Ansammlung von Ressourcen. Das Leben in seinen unzähligen Formen ist mehr als Materie, die sich bewegen, wahrnehmen und denken kann. Unser Leben hat einen Zweck, der unser kleines Denken und Fühlen übersteigt. Das Universum ist kein Zufall, und unser kleines Zuhause ist ein Teil einer größeren Entwicklung und gehört uns nicht.
Wir müssten das Welt- und Menschenbild, das sich seit der Renaissance entwickelt hat, entscheidend verändern. Der Mensch ist Bewusstsein, das mit der Fähigkeit zu denken, zu fühlen und Gutes zu tun ausgestattet ist. Sein Körper ist nur ein Instrument, das ihm dabei helfen kann. Er ist nur das Mittel, nicht der Zweck.
Dieses Menschenbild schafft eine völlig andere Perspektive auf die Welt, die wir erschaffen. Und führt zu gänzlich anderen Entscheidungen. Würden wir beispielsweise heute alle Smartphones sachgerecht entsorgen, würden wir morgen merken, dass wir glücklicher sind. Würden wir heute die Mengen, die wir essen, um 30 % verringern, wären wir morgen nur gesünder. Lebten wir einfacher, hätten wir mehr Zeit für unseren Geist und unsere Seele. Würden wir anfangen, der Natur den ihr gebührenden Platz zurückzugeben, wäre unser Leben bald schöner.
Ziele für eine neue, postzerstörerische Zivilisation
Wir machen den Fehler, zu denken, dass wir unsere Zivilisation lediglich umbauen, neu arrangieren müssen. Das wird nicht reichen! Unsere Probleme sind ein zwingendes Ergebnis unserer Zivilisation. Sie wiederum ist ein zwingendes Ergebnis unseres Denkens, unserer Vorstellung darüber, was die Welt ist und wofür wir leben.
Was Menschen glücklich und erfüllt macht, ist Liebe, Güte, Sinn, Seelenfrieden, Gemeinschaft. Die Zivilisation, die wir in einer gemeinsamen Anstrengung aufbauen, und die Kultur, die unserer Gesellschaft den Boden bereitet, sollen uns Aufgaben, Gelegenheiten und Orte bieten, die all dies unterstützen. Das muss zum Ziel der Gesellschaft, des Staates, der Wirtschaft, der Bildung, der Kultur, zum Ziel für unsere zukünftige postzerstörerische Zivilisation werden.
Solange wir unsere Bilder über die Welt und uns selbst, über das Ziel und über den Wert des menschlichen Lebens nicht verändert haben, wird uns eine postzerstörerische Zivilisation nicht gelingen!
Die wichtigste Frage, vor der die Menschheit heute steht, ist nicht, wie wir erneuerbare Energie erzeugen oder wie wir den Müll reduzieren. Die wichtigste Frage lautet: Wer bist du? Warum lebst du? Was ist dein Ziel? Erst wenn wir andere Antworten auf diese Fragen finden, bekommen wir als Gattung eine zweite Chance. Die menschliche Zivilisation muss neu geboren werden. Weniger als das reicht nicht aus.
Andreas Sternowski ist Verleger im Continentia Verlag, wo er Bücher über den Wandel zur Nachhaltigkeit und Verantwortung publiziert. Seine Vision ist eine Gesellschaft, die auf gerechtem und bereicherndem Miteinander und auf Harmonie mit der Natur beruht.
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Eine Zahl herausgenommen aus dem 14. Living Planet Report der WWF, die das Auslöschen des Lebens durch uns beziffert: Seit 1970 hat der Mensch 69 Prozent aller überwachten Bestände von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien vernichtet.
Die Argumentation überzeugt mich. Die Frage ist nur, wie macht man Liebe, Güte und Sinn zum Ziel der Wirtschaft?!
Aber unabhängig davon: gut, dass jemand auf die Idee gekommen ist, die Politik auf diese Tatsache hinzuweisen.