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Wie Systeme uns regieren und wie das Systemdenken es ändern kann

Aktualisiert: 23. März


Fragen Sie sich vielleicht, wie es kommt, dass jemand wie Donald Trump an der Spitze des (noch) mächtigsten Staates der Welt steht? Die Erklärung liefert uns eine Wissenschafts- und Managementdisziplin, die wir dringend lernen müssen: das Systemdenken.




Kapitol

Der Staat bin ich

 

Als Ludwig XIV. sagte: „Der Staat bin ich“, meinte er, dass er allein darüber bestimmt, wie das damals größtmögliche soziale System, ein Staat, gestaltet und geführt wird. Seine Aussage war wahr, weil man zum König nicht durch einen beruflichen oder sozialen Aufstieg, nicht als Ergebnis einer politischen Karriere, sondern kraft seiner Geburt wurde. Und so wurde Ludwig in ein System geboren, das ihm eine absolute und von allen und allem, was er regierte, unabhängige Macht verlieh. Das von ihm geleitete soziale System hatte sich deswegen seinen Vorstellungen anzupassen.

 

Wenn heute Donald Trump sagen würde: „Der Staat bin ich“, würde diese Aussage einen ganz anderen Sachverhalt beschreiben: Er ist ein (fast) perfektes Kind des Systems, das er regieren darf. Nicht das System hat sich an ihn angepasst, sondern er an das System. Und wenn er jetzt die Administration des Staates umwirft, dann weil die Strukturen des Staates in der über die letzten 50 Jahre herangewachsenen Form dem sich ändernden System der Macht nicht mehr optimal nützen. Die Art und die Konzentration des Kapitals sind heute anders, und eine autoritäre, rücksichtslose Regierung kann diesem Kapital, diesem Machtgefüge besser dienen. Das System hat ihm in die Position des Präsidenten gebracht, weil er die Ziele und die Mechanismen des Systems besser vertritt als Kamala Harris oder die Präsidenten vor ihm.


Der Fisch stinkt ... zum Kopf hin

 

Dieser Mechanismus wirkt in jedem ausreichend komplexen sozialen System: in einem Unternehmen, in einer Behörde, in einer Organisation, in einer politischen Partei. Je größer das System, umso stärker. Zum Vorstandsvorsitzenden wird nicht der klügste oder fähigste Mann (darüber, warum es meistens Männer sind, weiter unten), nicht der genialste Stratege oder mitreißendste Führer, sondern derjenige, der die Regeln des Systems am besten verkörpert. Deswegen macht er innerhalb des Systems Karriere. Und während er es tut, passt er sein Denken und Verhalten immer besser an die Ziele und die Regeln des Systems an. Zum Schluss bringt ihn das System in die leitende Position.

 

Im Umkehrschluss gilt also auch: Wenn man ein soziales System verstehen will, wenn man wissen will, wie es funktioniert und warum, kann man die Männer, die es führen, betrachten.


Die sozialen Systeme behaupten sich in ihrer Umgebung, indem sie Regeln schaffen und überdauernde Dynamiken entwickeln. Diese Dynamiken bringen dann Entscheider hervor, die der Erhaltung und der Expansion des Systems am besten dienen.

Wie kommt es aber, dass Männer wie Michail Gorbatschow oder Papst Franziskus an die Spitze eines Staates oder einer weltweiten Institution gelangen? Sie scheinen gegen die Regeln des Systems, das sie in die Machtposition befördert hatte, zu handeln oder sich zu äußern.

 

Ja, es gibt vereinzelt Individuen, die zu einer Veränderung ihres Systems beitragen (oder es versuchen), genauso, wie ein genialer Stratege an die Spitze eines Konzerns gelangen kann. Soziale Systeme bestehen aus Menschen, und die Persönlichkeit eines Chefs kann auch Güte, Demut oder strategische Intelligenz umfassen. Eins haben diese scheinbaren Ausnahmen aber gemein: Sie haben ihre Karriere in Übereinstimmung mit den Regeln des Systems gemacht. Außerdem verkörpern sie wahrscheinlich eine neue Dynamik innerhalb des Systems, die noch nicht für alle sichtbar ist. Auf jeden Fall sind sie Kinder ihrer Systeme.

 

Und warum sind es fast ausschließlich Männer? Weil unsere sozialen Systeme Eigenschaften, Denkweisen und Handeln aufweisen, in denen Männer einfach besser sind: Zielstrebigkeit, Durchsetzung des Eigeninteresses, Rücksichtslosigkeit, Vermehrung des Reichtums … Hätten wir soziale Systeme, die sich Mitgefühl, Rücksicht, Ausgleich und Milde als Ziele setzen, würden in ihnen mehrheitlich Frauen befördert.


Wie entstehen in der Gesellschaft Ziele und Regeln?

 

Unsere Gesellschaften, unsere Länder, unsere Wirtschaft, unsere Zivilisation wurden nicht bewusst und geplant gestaltet: nur in Teilen oder nur reaktiv, um einzelne, von den Machthabern ungewollte Entwicklungen zu korrigieren. Diese sozialen Systeme wurden nach der Industrialisierung so komplex, ihre Dynamiken so kraftvoll, dass das Stückwerk uns als Menschen, als Gesellschaft mittlerweile nicht mehr gut dient. In den letzten Jahrzehnten hat die rasante Entwicklung der (zunehmend vernetzten) Technologien dieser Komplexität und der mit ihr einhergehenden Dynamiken eine neue Dimension verliehen. Das ist unser eigentliches Problem. Wir versuchen ein System, dessen Komplexität unser Vorstellungsvermögen bei Weitem übersteigt, mit Wasserzangen und Hämmern umzubauen.

 

Die Regeln dieser sozialen Systeme (der Wirtschaft, der Gesellschaft, des Staates) sind deswegen eine Summe von Verboten und Geboten, die für einen begrenzten sozialen Kontext und nicht mit dem Blick auf ein Gesamtbild der Gesellschaft und der Zivilisation entstanden sind. Zusätzlich folgen sie dem, was zwar nicht in Gesetzen festgelegt ist, aber genauso stark wirkt: der Kultur. In der modernen Mediengesellschaft kam noch eine neue, mächtige gestaltende Kraft hinzu: die Beeinflussung der öffentlichen Meinung. In der Summe bestimmt all das darüber, was geht und was nicht geht, was als richtig und was als falsch betrachtet wird.


Nur wenn wir das Systemdenken lernen, werden wir Systemdenker in die Regierungen wählen. Nur wenn unsere Regierungen das systemische Denken anwenden, haben wir eine Chance, auf einem nachhaltigen Planeten im Frieden zu leben.

Das Recht, die formellen Regeln des Staates, die Kultur und die Manipulation in den Medien erzeugen Dynamiken, die das Funktionieren der Wirtschaft, der Machtausübung und der Gesellschaft definieren. Über das Ziel des Ganzen haben wir nie systematisch nachgedacht. Wir folgen einfach den Dynamiken und betrachten sie als gegeben, als eine Art Naturgesetze – die Welt sei eben so, man könne sie nicht ändern.

 

Den Fakt, dass uns ein Gesamtbild des Systems und ein explizites Ziel fehlen, nutzen diejenigen aus, die die Mittel besitzen, um die Regierungen, die Regeln und die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die unvorstellbare Konzentration des Reichtums und die mit ihm verbundene Macht hat in den letzten zehn, zwanzig Jahren dazu geführt, dass (formell immer noch uns gehörende) Staaten immer mehr dem Interesse von immer weniger Individuen dienen. Diese von den Superreichen beeinflussten Dynamiken haben Trump an die Macht gebracht. Diese Superreichen stehen auch hinter den Versuchen, die Welt(un)ordnung weiter umzubauen. Sie sichern sich immer mehr Einfluss in der Wirtschaft und Politik. De facto gestalten sie die Welt.


Systemdenken: Wie können soziale Systeme verändert werden?


Wenn man sich die Aufgabe stellt, ein komplexes soziales System umzubauen, hilft ein Blick auf die Systemwissenschaften wenig. Sie können uns helfen, den Zustand des Systems zu analysieren und zu verstehen. Die Aufgabe der gezielten Veränderung der sozialen Systeme liegt jedoch außerhalb ihres Fokus.

 

Wie kann man also komplexe soziale Systeme verändern? Wie kann man die Gesellschaft, den Staat oder das Wirtschaftssystem in geplanter Art und Weise umgestalten? Dafür gibt es eine Praxis, die auf der Basis der Systemwissenschaft und des systemischen Denkens entstand und sich explizit der Umgestaltung komplexer sozialer Systeme widmet. Sie wurde von einer Gruppe von Denkern und Organisationsberatern innerhalb der Wirtschaft entwickelt, die sich um Prof. Russell L. Ackoff in den 80er-Jahren gebildet hatte. Diese Praxis ist unter dem Namen Systems Thinking oder Systems Design bekannt. Mit ihr wurden bereits ausreichend viele Unternehmen und Organisationen erfolgreich umgestaltet.

 

Die Möglichkeit einer gezielten Gestaltung der Gesellschaft unter Anwendung dieser Methode wurde von Russell L. Ackoff und Sheldon Rovin in ihrem Buch „Redesigning Society“ untersucht. Alan P. Stern hat sie in seinem auf Deutsch erschienenen Buch „Redesigning Civilization“ für die gezielte Umgestaltung der gegenwärtigen Zivilisation genutzt. Und auf das Buch muss ich auch hier verweisen, weil dieses komplexe Thema nur in einem längeren Text angemessen vorgestellt werden kann.


Auch sehr große soziale Systeme können gezielt verändert werden. Dafür sind aber Vernunft anstelle von Aufregung, Konsensfindung anstelle medialer Manipulation und eine Demokratie, die sich von unten nach oben verwaltet, nötig. Es braucht allerdings auch eine Methode, das Systems Design, die ihre Wirksamkeit über Jahrzehnte bewiesen hat.

Die wichtigste Erkenntnis des Systems Designs ist jedoch schnell benannt: Ein komplexes soziales System kann man nur als ein Ganzes verändern. Und weil es aus Menschen besteht, sind ihre Überzeugungen und ihre Ziele ein Bestandteil des Umgestaltungsprozesses. Und diese Menschen, wir, müssen an diesem Prozess beteiligt werden.

 

Eins ist sicher: Wir werden unsere Zivilisation, unsere Demokratie, die Wirtschaft nicht auf die Art und Weise reparieren können, die von unseren Regierungen praktiziert wird. Und wir brauchen als Gesellschaft unbedingt Ziele, die nicht nur der heutigen Lage der Welt angemessen, sondern auch ausdrücklich festgelegt sind. Dafür brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte darüber, in welcher Welt wir leben wollen. Nur wenn wir dieses große Ziel vor Augen haben, können wir unsere kleinen Entscheidungen (von der Wahlentscheidung bis zur Entscheidung, wie wir unsere Kinder erziehen) derart treffen, dass sie uns zum Ziel führen.



Andreas Sternowski ist Verleger im Continentia Verlag, wo er Bücher über den Wandel zur Nachhaltigkeit und Verantwortung publiziert. Seine Vision ist eine Gesellschaft, die auf gerechtem und bereicherndem Miteinander und auf Harmonie mit der Natur beruht.


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