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Andreas Sternowski

Die Krise der Gelddemokratie

Aktualisiert: vor 3 Tagen


Wir brauchen nur nach USA zu schauen, um zu sehen, wie sich parlamentarische Demokratie entwickelt, wenn man großem Geld Zugang zu dem demokratischen Prozess gewährt. Auch wenn wir in Deutschland vor solchen Auswüchsen in Sicherheit zu sein glauben, bestimmt Geld auch bei uns zunehmend darüber, wer gewählt wird. Wie? Und können wir unsere Demokratie vor der Inbesitznahme retten?



Jägerversteck

Demokratie und Geld


Wir leben in einer Geld-Demokratie. Ich nenne sie so, weil sie ein Element in einem System ist, das um das Geld und seine Vermehrung aufgebaut ist. Das ist das Ziel der Wirtschaft, und alle andere Subsysteme unserer gegenwärtigen Zivilisation haben sich um die Wirtschaft herum arrangiert. Allen voran der Staat mit seiner Gesetzgebung, Administration und dem Recht. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, die Geldvermehrung zu schützen und zu fördern. Warum? Weil das gesamte System der Zivilisation darauf aufbaut. Man kann also zu Recht sagen, dass unser demokratisches Staatssystem sich um das Geld, um die Anhäufung von Reichtum dreht.

 

Wenn man kein anderes System will (oder einfach nur Angst vor einer Veränderung hat), muss man den Staat darauf ausrichten, die Geldvermehrung zu beschützen und zu fördern: durch das Recht darauf, ungehindert über die Staatsgrenzen hinaus Geld zu bewegen, durch die Geldgeschenke an die Spekulationsbanken nach einer Spekulationsblase, durch das Recht darauf, diese Blasen zu erzeugen, durch das Staatsdefizit, durch geringe Besteuerung des Reichtums und des Sich-Bereicherns, durch die täglichen Entscheidungen der Regierungen, durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung …

 

So viel zum Geld. Wenden wir uns der Demokratie zu. Die die Geldvermehrung fördernden Regierungen werden in Deutschland demokratisch legitimiert – nach den heute geltenden Regeln. Wie wird diese Demokratie von Geld (von Konzernen, von Lobbys, von Superreichen im Inland und Ausland) beeinflusst? Werfen wir einen Blick darauf.

 

Wenn wir die Funktionsweise unserer Demokratie in der Praxis betrachten, sind ihre wichtigsten Bestandteile die Parlamentswahlen und die Freiheit, politische Parteien zu gründen. Klar ist auch das Recht eine Säule der Demokratie – es stützt jedoch lediglich den Status quo, es ist kein Instrument der Veränderung. Der dritte Hauptbestandteil der Demokratie ist die öffentliche Meinung.


Öffentliche Meinung


Man kann sich die öffentliche Meinung als ein Meer vorstellen. Auf der Oberfläche rauschen und überschlagen sich Wellen, Strömungen bewegen das Wasser, Fischkutter schleppen ihre Netze. Das ist die Ebene des medialen Gequatsches in den großen und in den sozialen Medien. Man muss in das Meer eintauchen, um kritisches, differenziertes Nachdenken ohne ideologische Denkschablone und moralische Gefühlsregung zu finden. Und ganz tief gibt es noch eine dritte Schicht: Dort wird man Menschen finden, die das Verständnis für die Dynamiken des Systems entwickelt haben und die die Geschehnisse der Welt in ihrer ganzen Komplexität beurteilen können.

 

In einem trägt die Meeresmetapher jedoch nicht: Die mediale Meeresoberfläche ist die mit Abstand umfassendste Schicht der öffentlichen Kommunikation. Die tiefste Schicht der öffentlichen Meinung ist wiederum dünn und kaum besiedelt. Dieser Fakt ist entscheidend, denn innerhalb der Schicht des Geplauders und des Gequatsches spielt Geld eine maßgebende Rolle.


Wir leben in einer komplexen Welt, die kaum jemand versteht, und in einer Zivilisation, die so gut wie niemand überblickt. Differenziertes Nachdenken und Verständnis der komplexen Zusammenhänge sind für die Demokratie unentbehrlich. Leider kommen sie in der öffentlichen Meinung immer mehr unter die Räder.

Das wird von den meisten im Meer schwimmenden Menschen nicht bemerkt. Sie denken: Ich bin doch in den sozialen Medien frei in meiner Entscheidung, zuzuhören und zu sprechen, und von den großen Medienanbietern gibt es genug, sodass ich auch hier die Entscheidungsfreiheit habe. Um zu sehen, wie das Geld die öffentliche Meinung beeinflusst, müsste man nämlich in die Schicht des differenzierten, nüchternen Nachdenkens eintauchen. Und um zu verstehen, warum, müsste man noch tiefer gehen. Dafür ist neben dem Verstehen der Funktionsweise sozialer Systeme auch die Kenntnis des menschlichen Denkens notwendig. Und man braucht dafür das Verständnis des gesamten Systems und dessen, wie und warum es sein Output produziert: die Geldvermehrung, das wirtschaftliche Wachstum, die Zerstörung der Natur, die untragbare Ungleichheit und Ungerechtigkeit.


Wie das Geld die Demokratie untergräbt


Wenden wir uns nun dem Areal des politischen Geschehens zu. Dabei ist die Reihenfolge wichtig. Die öffentliche Meinung bestimmt darüber, welche politischen Parteien wann regieren. Die Parteien haben sich darauf spezialisiert, die Meinung der Mehrheit widerzuspiegeln. Natürlich versuchen sie auch ihrerseits das Denken der Bürger zu beeinflussen, aber das funktioniert immer weniger.

 

Das Geld ist da deutlich effektiver. Mit Geld und den Medien, die mittlerweile tief in den Alltag der Menschen eingreifen, lassen sich viel besser Meinungen verbreiten und unterdrücken. Dabei darf man sich diese Beeinflussung nicht als das Kaufen vorstellen (auch wenn das durchaus eine Rolle spielt), sondern als eine Luftströmung über dem Meer. Die Höhe und die Richtung der Wellen auf der Oberfläche des Meeres werden bekanntlich durch Luftströmungen bestimmt, und die Fischkutter sind Segelboote. Auf der Seite der Superreichen bedarf es für die Erzeugung dieser Luftströmung nicht mal einer Koordinierung. Wenn das angestrebte Denken der Menschen feststeht, führen auch nicht explizit abgesprochene Investitionen zum Ziel.

 

Wofür wird dabei Geld benötigt? Erstens ist die Erstellung der Inhalte für die Medien kostspielig. Noch teurer ist das Aufrechterhalten der Attraktivität bestimmter Medienkanäle. Die Meinungsführer werden umworben oder diskreditiert. Der Aufbau, Betrieb und die Reichweitenverbreitung der Medienplattformen und -konzerne sind sogar besonders teuer. Wenn man einmal Einfluss auf all diese Elemente des medialen Geschehens etabliert hat, ist das Spiel ein leichtes – die meisten Menschen surfen nur auf den Wellen. Zusätzlich sind die undifferenziert denkenden Nutzer der „demokratisierten“ Medien auf den sozialen Plattformen deutlich präsenter und aktiver als die wenigen mit dem Verständnis für die komplexen, systemischen Zusammenhänge. Deswegen verbreiten sich einfache, gern gesehene Botschaften fast von alleine.


Die Beeinflussung der Überzeugungen der Wähler ist so alt wie die Demokratie. Heute ist sie jedoch ein Teil der Wirtschaft und damit dem Geld überlassen. Die letzte Bastion sind die öffentlich-rechtlichen Medien, die leider immer mehr der vom Geld orchestrierten Mehrheitsmeinung gefällig werden.

 

Natürlich wirkt sich das Handeln der politischen Parteien und Regierungen wiederum auf die öffentliche Meinung aus. Aber es ist sinnvoller, bei der Analyse dieser Beeinflussungsspirale bei den Glaubenssätzen der Menschen anzusetzen. Die Investition in diese Glaubenssätze ist hocheffektiv, weil Menschen, wir, sie sehr ungerne ändern. Wenn die Mehrheit erst einmal daran glaubt, dass das kapitalistische System das beste ist oder dass die USA für uns in Europa ein Garant des Friedens sind, werden sie das weiter tun, auch wenn die Fakten eine andere Sprache sprechen. Fakten können gegen die Glaubenssätze der Menschen nur schwer etwas ausrichten. Und die Politiker surfen einfach mit.

 

Ein wichtiges Instrument bei der Beeinflussung der Wetterlage über dem Meer der öffentlichen Meinung ist das der Angst. Menschen, wir, wollen nichts weniger als etwas abgeben, auf etwas verzichten. Auch wenn es nur ihre Gewohnheiten sind. Wenn man ihnen sagt, dass jemand ihnen etwas wegnehmen möchte, ist dieser Jemand politisch diskreditiert. Das ist ein besonders wirkungsvolles Instrument. Dieser Jemand kann widersprechen oder argumentieren, wie er will – es wird ihm nichts nutzen.

 

Wenn man Demokratie als den direkten Einfluss der Bürger auf die Gestaltung ihrer Staaten und Gesellschaften definieren möchte, wird dieser Einfluss durch die Einwirkung des Geldes auf die öffentliche Meinung entscheidend beeinträchtigt.


Das politische Brettspiel


Werfen wir jetzt einen Blick auf die beiden anderen gestalterischen Bestandteile der Demokratie: auf die Parlamentswahlen und die Freiheit, politische Parteien zu gründen. Spielt Geld hier eine entscheidende Rolle? Zuerst mal nicht. Die Lobby-Arbeit der Asset Manager, Konzerne und Banken wird zwar von Jahr zu Jahr ausgeweitet, und nicht wenige Politiker erhalten während oder nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik sehr gut bezahlte Aufträge oder Posten von diesen Unternehmen, aber Geld spielt bei dem politischen Spiel in Deutschland immer noch nicht die entscheidende Rolle. Das heißt: nicht direkt. Wohl aber bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, die (wie oben ausgeführt) über die politischen Positionen der Parteien entscheidet.


Je größer das Geld, umso mehr Raum braucht es zu seiner Vermehrung. Heute reicht die Kette seiner Mehrung von Verzinsung über Schulden, Wirtschaftswachstum, Ungerechtigkeit und Vereinnahmung der Demokratie bis zur Zerstörung des Ökosystems der Erde, und dieser Raum ist global.

Ein zweites, aus der deutschen Perspektive oft übersehenes Spielfeld des großen Geldes ist der Einfluss der US-amerikanischen Finanzregelungen, des US-amerikanischen Wirtschaftssystems und der US-amerikanischen Politik auf die deutschen Regierungen. Verkürzt gesagt: Wir folgen den Amerikanern in allen relevanten Bereichen auf Schritt und Tritt. Deswegen ist es für die Gestalter der Welt hinter den politischen Kulissen bisher nie notwendig gewesen, in Europa einen vergleichbaren finanziellen Aufwand zu treiben wie in den USA. Aber auch dieses „Engagement“ wird ausgebaut. Achtsamkeit ist also nötig.

 

Das bedeutet aber, dass wir, die Bürger, immer noch eine reale Möglichkeit haben, auf die Umgestaltung unseres Landes durch die Wahlen und durch Gründung von Parteien, die für eine andere Politik und sogar für ein anderes wirtschaftliches System stehen, Einfluss zu nehmen. Die Bürger in den USA beispielsweise sind in dieser Position nicht. Um jedoch diese Möglichkeit zu nutzen, müssen wir in die tieferen Schichten des Meeres der öffentlichen Kommunikation eintauchen.


Lässt sich noch aus der Gelddemokratie Demokratie machen?


Ich bin der Meinung, dass die einzige Chance, Geld aus dem demokratischen Prozess fernzuhalten, eine konsequente Demokratisierung des Staates ist. Und weil diese Demokratisierung auch darüber hinaus die einzige reale Chance für die Lösung unserer großen zivilisatorischen und gesellschaftlichen Probleme ist, brauchen wir sie sowieso. Was meine ich damit?

 

Ich möchte mich an dem Modell der „Demokratie von unten“ orientieren, das von Alan Patrick Stern in seinem Buch „Redesigning Civilization: Wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?“ beschrieben wurde. Der Autor hat sich bei seiner Ausarbeitung an einem von zwei US-amerikanischen Systemdenkern Russell Ackoff und Sheldon Rovin entwickelten Entwurf orientiert. Dieses Modell im Detail zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, deswegen muss ich mich auf ein paar Stichpunkte und Bemerkungen beschränken und ansonsten dem Leser die Lektüre des Buches (wärmstens) empfehlen.

 

In dem Entwurf werden zuerst kleine lokale Einheiten mit ca. hundert Bürgern gebildet. Diese Einheiten entscheiden über alle sie betreffenden lokalen Belange. Um handlungsfähig zu sein, bekommen sie den auf sie anteilig anfallenden Teil der Steuereinnahmen des Staates. Die Einheiten wählen aus ihren Mitgliedern einen, der in die nächsthöhere Einheit entsandt wird. (Nach sieben solchen Wahlschritten wäre die gesamte Bevölkerung Deutschlands in diesem demokratischen Prozess vertreten.)

 

Diese basisdemokratischen Entscheidungseinheiten können nach eigenem Ermessen Aufgaben (zusammen mit den für ihre Erfüllung notwendigen Geldmitteln) an die nächsthöhere Ebene delegieren. Diese bleibt der delegierenden Einheit Rechenschaft schuldig. Die Macht und die Ressourcen fließen in diesem Modell also von unten nach oben. Der Aufbau dieser direktdemokratischen Machtpyramide hört in Deutschland in jedem Bundesland auf der vorletzten Stufe auf. Die Mitglieder dieser Stufe wählen zum Schluss in einer direkten Wahl aus ihrem Kreis das Landesparlament. Die Landesparlamente wählen ihrerseits (wieder aus ihren Mitgliedern) den Bundestag.

 

Der entscheidende Unterschied zu den heutigen Parlamenten ist, dass ihre Mitglieder basisdemokratisch in einem mehrstufigen Verfahren gewählt werden und nicht aufgrund der Nominierung durch politische Parteien. Die Parteien spielen in dem neuen System eine andere Rolle. Anstelle Macht auszuüben oder anzustreben, bieten sie eine Bühne und eine Organisationsstruktur für Menschen, die wegen ihrer politischen Überzeugungen zusammenkommen.


Wenn Macht und Geld von unten nach oben fließen würden, wären die Probleme des heutigen politischen Systems gelöst. Das würde auch eine mündige, verantwortungsbewusste Gesellschaft schaffen.

Wenn man in einer solchen Demokratie von unten mit Geld (ob direkt oder über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung) Einfluss auf die Entscheidungen dieses „verteilten Staates“ nehmen wollte, würde man vor einer sehr schwierigen Aufgabe stehen. Sogar die Qualität der öffentlichen Kommunikation würde sich mit der Zeit automatisch erhöhen. Wenn Menschen ganz konkret entscheiden müssten, wofür ihr gemeinsames Geld in ihrer Umgebung, aber auch in ihrer Gemeinde, Stadt, Region und letztendlich auch der gesamten Bundesrepublik ausgegeben wird, würden sie sich deutlich besser über die Strukturen und Zusammenhänge der Welt, in der sie leben, informieren und dann (in einem Raum sitzend und sich in die Augen schauend) deutlich differenzierter und mit dem Konsens im Sinn diskutieren. Auch deswegen ist ein basisdemokratisches Staatssystem anstrebenswert.

 

Alle anderen Versuche, egal wie gut gemeint, werden nie zum Erfolg führen. Die einzige Lösung struktureller Probleme ist, sie bereits beim Design des Systems auszuschließen.


Andreas Sternowski ist Verleger im Continentia Verlag, wo er Bücher über den Wandel zur Nachhaltigkeit und Verantwortung publiziert. Seine Vision ist eine Gesellschaft, die auf gerechtem und bereicherndem Miteinander und auf Harmonie mit der Natur beruht.


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