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Der Krieg folgt dem Geld

Aktualisiert: vor 5 Tagen


Wir sprachen mit Alan Patrick Stern über den wirtschaftlichen Aspekt der Aufrüstung in Deutschland. Können die erhöhten Militärausgaben der deutschen Wirtschaft helfen? Sind sie notwendig? Was bewirken sie?


Ein Kind schaut auf Kriegsruinen


Continentia: Herr Stern, ich freue mich, dass wir wieder miteinander sprechen können. Diesmal interessiert uns die wirtschaftliche Dimension der Aufrüstung in Deutschland. Können die geplanten ca. 200 Milliarden Euro jährlich (wenn wir die zugesagten 5 % des Bruttoinlandsprodukts ernst nehmen) der deutschen Wirtschaft helfen?

 

Stern: Ok. Dann arbeiten wir uns zu der Antwort auf Ihre Frage durch. Das Wichtigste, was man über die Wirtschaft wissen muss, ist, dass sie sich immer dorthin wendet, wo das Geld ist. Deswegen hat dieser Berg an Geld eine große Bedeutung. Zu Zeiten eines Rückgangs der industriellen Produktion in Deutschland sogar eine besonders große.

 

Continentia: Wo kommt dieser Rückgang her?

 

Stern: Durch die Sprengung von Nord Stream wurde Erdgas teurer, durch die Sanktionen Erdöl und andere Rohstoffe. Unser Auslandsgeschäft stagniert als direkte Folge dieser Maßnahmen. Gleichzeitig gehen die Investitionen und die Nachfrage im Inland zurück. Die Leute haben immer weniger Geld in der Tasche und verlieren die Zuversicht.


Und während wir in Deutschland praktisch abbauen, bauen andere kräftig aus: China, Russland, die BRICS-Staaten – fast die gesamte nichtwestliche Welt. Dadurch wirkt unser Rückgang im Vergleich natürlich noch größer. Zusätzlich wird die Stimmung immer schlechter.

 

Continentia: Sieht der Rest der Welt der Zukunft zuversichtlicher entgegen?

 

Stern: Ja. Das gilt für Konsumenten wie für Produzenten gleichermaßen – und das hat natürlich direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft.


Aber da gibt es noch einen anderen Faktor, den viele Analysten übersehen. Deutschland, und der Westen insgesamt, hat einen wichtigen Posten in seiner internationalen Bilanz verloren, nämlich Bewunderung und Vertrauen. Die Haltung von Regierungen, Managern und Konsumenten in der nichtwestlichen Welt uns und unseren Zukunftsaussichten gegenüber ist heute eine ganz andere als noch vor zehn oder fünf Jahren. Das ist von Bedeutung, weil bei ökonomischen Entscheidungen Überzeugungen der Entscheider eine Rolle spielen. Diese Manager und Konsumenten sind heute einfach offener für Alternativen geworden.


Was wir auch nicht vergessen dürfen: 55 % der globalen Wirtschaftsleistung entfallen bereits auf Länder außerhalb der NATO. Betrachtet man die industrielle Wertschöpfung, sind es sogar 65 %. Um das mal greifbar zu machen: Vergleichen wir die Industrieleistung von Deutschland und China, stehen weniger als 5 % etwa 30 % gegenüber.


Die Musik spielt heute einfach woanders – ob wir nun auf wirtschaftliche Leistung, Investitionen in Produktion und Infrastruktur oder technologischen Fortschritt schauen. Die Wirtschaft ist wie eine große Party, zu der die Reichen und diejenigen, die reich werden wollen, gehen. Wo die Musik spielt, ist deswegen entscheidend.


Die Wirtschaft ist wie eine große Party, zu der die Reichen und diejenigen, die reich werden wollen, gehen. Wo die Musik spielt, ist deswegen entscheidend.

Continentia: Können die Milliarden, die unsere Regierung für Rüstung ausgibt und auszugeben plant, an dieser Situation etwas ändern?

 

Stern: Bei der geopolitischen Entwicklung nein, das werden sie nicht. Was sie aber sehr wohl verändern werden, ist die deutsche Wirtschaft selbst.

 

Lassen wir die großen Rüstungsunternehmen einmal beiseite – über sie wird in der Presse genug berichtet. Viel interessanter ist das, was mit dem Gros der Industrie passieren wird. Was machen die Manager in all den mittelständischen Unternehmen, die den eigentlichen Motor der deutschen Wirtschaft darstellen, wenn die zivile Nachfrage schrumpft und die Nachfrage der Kriegsindustrie wächst? Sie werden versuchen, an diesem Boom ihren Anteil zu haben. Dadurch wird die Wirtschaft schrittweise immer mehr für Kriege produzieren und von dieser Produktion abhängig werden. Und irgendwann müssen die Lager geleert werden, um Platz für die weitere Produktion zu machen.

 

Continentia: Aber die wenigsten Unternehmen werden Raketen oder Helme produzieren können.

 

Stern: Ja, trotzdem ändert das nichts an meiner Aussage. Diejenigen, die Raketen oder Helme produzieren, liegen am Ende von breitgefächerten und langen Lieferketten. Diese Lieferketten machen den größten Teil der Wirtschaft aus. Das gilt für die großen Konzerne wie für den deutschen Mittelstand gleichermaßen.

 

Continentia: Wird diese Entwicklung zum bestimmenden Faktor für unsere Wirtschaft?

 

Stern: Das hängt natürlich davon ab, wie groß der Berg an Geld ist. Aber es gibt einen anderen Faktor, und er ist entscheidend: Die Rüstungskonzerne haben viel mehr Geld und können ihre Lieferanten deutlich besser bezahlen. Besonders viel zahlt übrigens die Kriegsindustrie der USA, weil die dortigen Regierungen in den militärisch-industriellen Komplex seit Jahrzehnten mit Abstand weltweit das meiste Geld pumpen. Wenn Lockheed Martin oder General Dynamics beispielsweise, aber auch ein Kleiner, sagen wir AeroVironment, bei einem deutschen Mittelständler Schrittmotoren bestellt, weil sie gut sind, wird er den Deutschen wahrscheinlich das Vierfache des Marktpreises anbieten. Was denken Sie, wird der deutsche Mittelständler tun? Diese Entwicklung wird auch in der EU stattfinden – dort, wo die Regierungen Geldberge hingeschoben haben, spielt Geld keine entscheidende Rolle mehr.

 

Bis vor Kurzem war die Produktion für den Krieg in Deutschland etwas, das man nach Möglichkeit nicht tat. Doch jetzt, wo uns täglich eingetrichtert wird, dass wir uns auf einen Krieg vorbereiten müssen, bröckelt diese Haltung. Das spürt man in den Vorstandsetagen genauso wie in den Betriebsräten. Das wird den Umstellungsprozess zusätzlich beschleunigen.

 

Nach einigen Jahren und für die Öffentlichkeit kaum bemerkt wird ein beachtlicher Teil der deutschen Wirtschaft von Kriegsvorbereitungen leben.


Nach einigen Jahren und für die Öffentlichkeit kaum bemerkt wird ein beachtlicher Teil der deutschen Wirtschaft von Kriegsvorbereitungen leben.

Continentia: Unter dem ökonomischen Blickwinkel wird diese Umstellung also der deutschen Wirtschaft helfen. Das BIP wird wieder wachsen.

 

Stern: Ja, das Bruttoinlandsprodukt wird wachsen – genauso wie die Staatsschulden. Parallel dazu wird die Abhängigkeit des Wachstums von diesen steigenden Staatsschulden wachsen. Dadurch wird eine Rückkopplungsschleife entstehen. Sie ist verhängnisvoll, weil die Regierenden immer weniger bereit sein werden, sie zu durchbrechen.

 

Denn nach dem neoliberalen Weltbild, das unsere Parteien verinnerlicht haben, zwingen steigende Schulden den Staat zum Sparen – und zwar bei den Bürgern. Die Folge werden ein schrumpfender Sozialstaat, marode Infrastruktur und schlechtere öffentliche Dienstleistungen sein. Gleichzeitig wird diese Politik die Inflation anheizen, was Menschen ärmer machen wird.

 

Um den Ärger der Bevölkerung in Schach zu halten und an der Macht zu bleiben, werden die Regierenden die persönlichen und politischen Freiheiten der Menschen beschränken und die Propagandamaschinerie weiter ausbauen. Der Staat wird immer autoritärer. Auch das ist eine Rückkopplungsschleife, die die Machthaber nicht zu durchbrechen gewillt sein werden. Stattdessen wird uns das Ganze als das kleinere Übel verkauft. Sonst würden ja bekanntlich russische Panzer in Paris einrollen.

 

Man kann sich aber auch vorstellen, dass die Politik versuchen wird, den Unmut mit weiteren Schulden zu bekämpfen – indem sie den Bürgern Geld gibt und die soziale Struktur des Staates stützt. Denn der Ärger der Bürger ist das Einzige, was ein autoritärer Staat wirklich fürchten muss. Die Rückkopplungsschleife der Staatsverschuldung wird sich dadurch natürlich verstärken.

 

Am Ende dieser Spirale steht der Krieg.


Am Ende dieser Spirale steht der Krieg.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Die US-amerikanischen Rüstungskonzerne werden die überteuerten Rüstungsgüter auch an uns verkaufen. Und unsere Regierung wird sie mit frischen Schulden bezahlen. Das bedeutet, ein großer Teil des Geldes, das wir für Rüstung drucken werden, wird direkt über den Atlantik wandern. Die amerikanischen Konzerne werden kassieren, und wir werden noch mehr Schulden anhäufen – und dadurch all die Entwicklungen, die ich gerade beschrieben habe, noch weiter beschleunigen.

 

Continentia: Wie schnell kann solche Umstellung der Wirtschaft auf den Krieg erfolgen?

 

Stern: Das kann recht schnell gehen. In den 30er-Jahren in Deutschland hat sie vielleicht vier Jahre gedauert. Heute sprechen die Politiker und die Generäle jeden zweiten Tag darüber, dass es im Jahr 2029 oder etwas später einen Krieg mit Russland geben wird. Jetzt wissen Sie, wo dieses Datum herkommt.

 

Continentia: Ist es nicht so, dass wir auf die Aufrüstung in Russland oder China reagieren müssen?

 

Stern: Das ist eine zentrale Frage. Erlauben Sie mir, eine Gegenfrage zu stellen: Wer handelt hier eigentlich, und wer reagiert nur? Nehmen wir die historische Perspektive:

 

Die russische Führung, ja sogar die sowjetische unter Gorbatschow, hat sich immer für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur in Europa ausgesprochen – eine, die auf einem stabilen Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau basiert. Es sind die USA und die NATO, die dagegen waren.

 

Wenn wir noch weiter zurückgehen: Trotz der Verbrechen Stalins im eigenen Land muss man festhalten, dass die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg auf Frieden bedacht war. Sie wollte z. B. Deutschland zuerst gar nicht teilen. Es waren die USA, die eine Entmilitarisierung und Neutralität Deutschlands ablehnten – und die NATO gründeten.

 

Den Ukrainekrieg gibt es nur, weil sich Russland (aus gutem Grund, wenn Sie mich fragen) in seiner Existenz bedroht fühlte. China ist zu einer Militärmacht aufgestiegen wegen der schmerzvollen historischen Erfahrung des ausländischen Imperialismus und in der weisen Erkenntnis, dass die westlichen Mächte – allen voran die USA – es unterwerfen werden, wenn es militärisch schwach wird. Seit dem Zweiten Weltkrieg agieren machtpolitisch in erster Linie die USA. Der Rest der Welt – Russland, China und andere – reagiert darauf.


Seit dem Zweiten Weltkrieg agieren machtpolitisch in erster Linie die USA. Der Rest der Welt – Russland, China und andere – reagiert darauf.

Continentia: Was Sie uns heute gesagt haben, klingt sehr beunruhigend.

 

Stern: Das ist gut: Wir sollten beunruhigt sein.


Die Zukunft ist natürlich noch nicht geschrieben. Sie ist immer offen – das heißt, wir haben durchaus die Möglichkeit, diese Prozesse zu beeinflussen. Dafür aber müssen wir etwas tun. Dynamiken in Systemen entwickeln ein Eigenleben, wenn sie nicht korrigiert werden.

 

Die Ausgangssituation in Deutschland und international ist heute anders als in den 30er-Jahren, und die Möglichkeiten der Menschen, die vorgegebenen Narrative zu durchschauen, kritisch zu sein, Einfluss zu nehmen, sind auch größer.

 

Continentia: Was können wir tun?

 

Stern: Sich ärgern! Versuchen, an der Propaganda vorbei die objektive Realität zu sehen. Mit dem gesunden Menschenverstand entscheiden, was in unserem Interesse ist. Und vor allem, die eingefahrenen Denkwege infrage zu stellen. Neue Dynamiken, neue Systeme zu denken.

 

Man hat ja das Gefühl, dass unser ganzes westliches System – dieses neoliberale Wirtschaftsmodell und die Politik, die es stützt – an sein Ende kommt. Und die Art, wie es sich verabschiedet, ist brandgefährlich: Es könnte in Krieg und Zerstörung münden: in der Zerstörung von Werten, unserer natürlichen Lebensgrundlagen, von Menschenleben – im schlimmsten Fall sogar in einer atomaren Katastrophe.

 

Diese Entwicklung kann nur von innen gestoppt werden. Und ich denke, dass die Veränderung aus der Gesellschaft selbst erwachsen muss. Also müssen wir aktiv werden.



Alan P. Stern ist ein Systemdenker und praktischer Philosoph. Akademisch in naturwissenschaftlichen wie auch in praktisch-wirtschaftlichen Fächern ausgebildet, arbeitete er als Manager und Unternehmensberater.

Im Jahr 2019 erschien sein Buch „Redesigning Civilization; wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?“



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