Spirituelle Ökologie
Aktualisiert: 6. Okt. 2022
Alan P. Stern im Interview über Spirituelle Ökologie.

Continentia: Herr Stern, können Sie uns sagen, was Spirituelle Ökologie ist?
Alan P. Stern: Es ist ein neuer Blickwinkel auf den Naturschutz. In unserem Kulturkreis haben wir uns daran gewöhnt, Glück, Wahrheit und Entwicklung in der äußeren materiellen Welt zu suchen. Das augenscheinlichste Ergebnis dieser Sicht der Welt ist die Zerstörung intakter Natur und die Erderwärmung. Also es ist nur pragmatisch und gesunder Menschenverstand, unser Weltbild infrage zu stellen. Das ist der Standpunkt der Spirituellen Ökologie.
Continentia: In der Ökologie geht es um Luftverschmutzung, Verseuchung der Meere mit Plastik und ökologische Landwirtschaft. Was kann da die Spirituelle Ökologie helfen?
Alan P. Stern: Sehr viel. Zuerst müssen wir anerkennen, dass es außer dem äußeren Universum, das wir mit den Augen sehen können, in jedem von uns ein inneres Universum gibt. Damit meine ich nicht Gedanken, Träume und Gefühle. Sie sind nur ein Vorzimmer, das uns mit seinem Geschwätz und Getue von dem eigentlichen Raum im Inneren abschirmt. Dieser Raum ist mindestens so unendlich wie der äußere und wartet darauf, entdeckt zu werden. Bereits nach den ersten Schritten, die wir in diesem Raum machen, entwickeln sich in uns Mitgefühl, Rücksicht und Güte. Die weiteren Schritte bringen mit sich eine wachsende Gewissheit, dass die Kräfte des inneren Universums allen Menschen gemeinsam sind, dass sie uns sogar mit allem Leben verbinden. Wenn man das verstanden hat, wenn man es in seinem Inneren erfahren hat, wird man nie mehr das Leben absichtlich oder gedankenlos zerstören. Das macht das Wesen der Spirituellen Ökologie aus.
Continentia: Meinen Sie wirklich, dass die Denkweise Einzelner die Erderwärmung aufhalten kann?
Alan P. Stern: Ich meine, dass eine Änderung unserer Sicht auf die Natur die einzige Möglichkeit ist, unseren wunderschönen Planeten vor der menschengemachten Zerstörung zu bewahren. Auch wenn Sie die völlig utopische Annahme treffen, dass die Regierungen und Unternehmen überall auf der Welt morgen die CO2-Emission drastisch senken, beendet das den unwiderruflichen Verbrauch anderer Ressourcen der Natur? Beendet das die Zerstörung unserer Böden, die Verschmutzung unseres Wassers, das Artensterben? Diese beispiellose Zerstörung ist das Resultat des systemimmanenten Wachstums der Wirtschaft. Und dieses Wachstum ist wiederum das zwingende Ergebnis unseres Strebens nach mehr Besitz und nach immer müheloserem und unterhaltsamerem Leben. Wo kommt dieses Streben her? Es ist ein Kind unserer Denkweise: unserer Vorstellung vom glücklichen Leben, der Betrachtung der Natur als untergeordnet, der Annahme, dass die Welt ein Haufen Materie ist, dass die Natur dafür da ist, unsere materiellen Bedürfnisse zu befriedigen.
Unser rein materialistisches Weltbild führt zur Zerstörung der Natur. Es infrage zu stellen ist die einzige wirklich wirksame Herangehensweise an den Naturschutz.
Continentia: Welches Weltbild postuliert die Spirituelle Ökologie?
Alan P. Stern: Sie geht von der tief liegenden Einheit allen Lebens aus. In allem Leben gibt es eine Kraft, die nicht auf die bloße Materie zurückgeführt werden kann. Diese Kraft ist heilig. Deswegen ist auch jedes Leben heilig. Natürlich müssen wir essen, im Wald spazieren und Häuser bauen. Dabei wird immer auch Leben zerstört. Aber wir sollen diese Zerstörung auf ein Minimum begrenzen. Wir sollen das grundsätzliche Anrecht aller Tiere und Pflanzen zu leben als ein Kriterium für unsere Entscheidungen einbeziehen.
Nehmen wir das Essen: Heute ist der Preis des fertigen Produktes im Supermarktregal ausschlaggebend. An die Zerstörung des Bodens, an das Bienensterben denken wir nicht. Das zweite Kriterium ist ein angenehmer Reiz auf der Zunge. Ob dafür Tiere ihr Leben im Gefängnis, in Enge verbringen mussten, interessiert uns nicht.
Dazu muss man wissen, dass das Empfinden dieses Reizes völlig subjektiv und damit eingebildet ist. Es ist das Ergebnis der Gewöhnung unserer Sinnesorgane. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich habe mal 18 Monate lang kein Salz gegessen. Das war alles andere als einfach, weil zu fast allen fertigen Lebensmitteln Salz beigemischt wird. Sogar zu Süßwaren. Also musste ich mein eigenes Brot backen und das Gemüse selbst vorbereiten. Nach einer Umgewöhnungsphase hat meine Zunge ungeahnte Geschmacksnuancen in einfachsten Speisen wie gekochten Kartoffeln oder roter Bete entdeckt. Ich empfinde heute gesalztes Gemüse als Zumutung – das Salz tötet doch 80 % vom Eigengeschmack der Speisen, besonders wenn sie strikt biologisch angebaut wurden. Unsere Vorstellung von gutem Essen ist nichts als Ergebnis der Gewöhnung – sie existiert nur in unserem Kopf.
Und warum greifen viele zum billigsten Essen? Wahrscheinlich, weil sie das Geld für ein neues Gadget oder für einen Urlaub in der Karibik brauchen. Diese Wünsche sind doch auch nur das Ergebnis unseres Denkens, Einbildung, unserer Vorstellung vom glücklichen Leben. Das ist alles nur in unserem Kopf! Wenn wir also anfangen, anders zu denken, wenn wir beispielsweise beim Einkaufen auch die Zerstörung des Lebens durch Pestizide oder das Leiden der Tiere beachten, verändert sich unser Verhalten und damit seine Folgen. Menschen sind trotz des Jahrhunderte andauernden exzessiven Materialismus und egoistischen Nutzendenkens von Grund auf moralische Wesen. Wenn man ihnen das Leid der Natur vor Augen führt, werden sie anders entscheiden, anders leben. Diese geänderte Lebensweise kann der Natur helfen, sonst nichts. Davon bin ich überzeugt.